Gretchenfrage: Gutes Gefühl oder gutes Ergebnis?
Die Geschichte des Salamanderzüchters Uwe Seidel erzählt auch einen Teil der Geschichte des modernen Artenschutzes. Am Anfang steht die Faszination für das Tier in seinem natürlichen Lebensraum. Man will mehr wissen, verstehen, wie das Leben eines Salamanders verläuft und was uns dies erzählen kann. Man baut den natürlichen Lebensraum nach, um das Tier unter kontrollierten Bedingungen erforschen zu können. Das funktioniert auch einigermaßen, doch irgendwann stellt man fest, dass die Formel nicht aufgeht: Haltung unter kontrollierten Bedingungen heißt im Optimalfall die Abwesenheit jeglicher Gefahren für Leib und Leben. Folglich müsste sich diese Art stark vermehren. Tut sie dies nicht, kann die Haltung noch nicht optimal sein. Uwe Seidel hat dies an seinen Salamandern erprobt und ist zu einem Ergebnis gekommen: was Not tut, ist die Salamander-Rettung mit System.
Das voll bepflanzte Waldterrarium mit Bachlauf und Bodengrund ist schön, aber für eine kontrollierte und zuverlässige Vermehrung von Feuersalamandern ungeeignet. © Federico Crovetto, Shutterstock
Am Ende waren es graue Stapelboxen, in denen sich Uwes Feuersalamander am wohlsten fühlten – zumindest wenn man Gesundheit, erfolgreiche und zahlreiche Nachkommenschaft und ein langes Leben als Indizien für Wohlbefinden akzeptiert. © Uwe Seidel
Diese Salamander-Einfamilienhaus-Siedlung ist nach dem immer selben Prinzip aufgebaut: Bodengrund Zeitungspapier, Versteckmöglichkeiten unter Steinen und Rinde, eine sogenannte Feuchtbox mit Moos und ein Badebecken. © Uwe Seidel
Zeitungspapier ist aus Cellulose – genau wie Laub. Dieses wird nur äußerst dürftig mit Waser besprüht – Feuersalamander mögen es eher trocken – und alle zwei Wochen ausgetauscht. © Uwe Seidel
Jeweils eine Zuchtgruppe von zwei bis drei Tieren bewohnt ein Stapelbox-Apartment. Licht dringt – wie im Unterholz des Waldes – nur seitlich durch die Lüftungsschlitze ein. Munter werden die nachtaktive Tiere dann, wenn auch dieses erlischt. © Benny Trapp, Frogs & Friends
Feuersalamander sind Hygiene-Fetischisten
Das Waldterrarium birgt – anders als der Wald selbst – neuartige Gefahren für Gesundheit und Wohlergehen des Salamanders. Das Klima schwankt, es wird zu trocken oder bleibt zu feucht, wodurch es zu Fäulnisprozessen kommen kann. Kurz und gut, der Salamander kann in so einem natürlich gestalteten Terrarium ganz schon in Stress geraten, um für sich den jeweils angenehmsten Platz zu finden. Am Ende führte Uwe Seidels Liebe dazu, seine Schützlinge in Stapelboxen zu setzen mit einer sauber durchinszenierten Langeweile, zuverlässig, praktisch, gut – die Tiere danken es ihm mit guter Gesundheit und hervorragenden Nachzuchterfolgen.
Will man das?
Der Ästhet und manchmal auch der Ethiker im Menschen mag sich sträuben – darf man das? Salamander in Plastikboxen halten? Ist das artgerecht? Ist es tierschutzgerecht? Man kann darüber unterschiedlicher Auffassung sein, fest steht: die „Boxen-Tiere“ leben gesünder und länger als ihre Kollegen in hübschen Landschaftsterrarien, sie vermehren sich besser und ihre Nachzuchten wachsen schneller heran. Die Gestaltung ihres Mini-Lebensraumes berücksichtigt ganz offenbar die wesentlichen Bedürfnisse der Salamander, „Felsspalten“ bieten Sicherheit und ein geeignetes Mikroklima, weder lästige Keime noch penetrante Sonneneinstrahlung stören das Wohlbefinden. Die Entwicklung dieses Haltungssystems hat noch einen weiteren Vorteil: Es bietet uns erstmalig die Möglichkeit, Salamander in großer Zahl zu halten und zu züchten, wenn es darauf ankommt – und das könnte schon bald der Fall sein.
Eine Pilzseuche macht sich über die Schwanzlurche her
Der sogenannte „Salamanderfresser“ Bsal (Batrachochytrium salamandrivorans) stammt ursprünglich aus Asien und hat vermutlich vor einigen Jahren in den Niederlanden oder Belgien europäischen Boden erreicht. Seitdem breitet der Pilz sich in Richtung Süden und Osten aus. Taucht er in einem neuen Lebensraum auf, stirbt fast der gesamte Bestand an Salamandern. Diese hohe Mortalitätsrate ist es, was den Forschern zusätzliche Sorgen bereitet. Denn selbst wenn der Feuersalamander als Art derzeit noch nicht direkt bedroht ist, so könnte der Pilz doch zum Verschwinden ganzer regionaler Typen des Salamanders führen. Genau hier kommen die CC-Salamanderhalter ins Spiel. Wenn es gelingt, rechtzeitig eine ausreichende Anzahl der jeweiligen „Geo-Typen“ innerhalb von Citizen Conservation zu erhalten, bewahrt man sich so die Option, die ursprünglichen Formen später wieder auszuwildern. Wie das genau im Falle von Bsal-Epidemien funktionieren kann, ist derzeit noch nicht klar. Klar ist aber: Was einmal weg ist, ist weg.